Beitrag von Walter Schlammer
Als die russische Panzerspitzen Sorau erreicht hatten, kam die Aufforderung, Groß-Särchen zu räumen. Am Vormittag des 13.2.1945 verließen den Ort dann viele Einwohner über die Neißebrücke. Es bildete sich hinter der Brücke ein langer Treck aus Pferde- und Ochsengespannen, Leute mit Handwagen und bepackten Fahrrädern.
Auch wir reihten uns mit meiner Tante und ihren zwei Söhnen in den Treck ein. Meine Mutter und ich zogen und schoben unseren großen, bepackten Handwagen und obendrauf saß mein vierjähriger Bruder. Meine Schwester und der siebenjährige Cousin hatten einen kleineren Handwagen und meine Tante hatte ihr bepacktes Fahrrad, sowie ihren dreijährigen Sohn. Es ging den Sandberg hinauf. Einige Gespanne mussten, da sie zu schwer beladen waren, gegenseitig vorgespannt werden. Dann ging es weiter nach Jerischke und von da aus den damaligen sandigen Weg nach Eichwege. Dort übernachteten wir in der Gaststätte. Es ahnte niemand, dass diese Nacht in die Geschichte eingehen sollte.
Von den alliierten Luftstreitkräften wurde Dresden bombardiert, wobei fast die ganze Altstadt in Schutt und Asche gelegt wurde. Dabei gab es viele tausende Tote, denn die Stadt war voller Flüchtlingstrecks. Viele wollten auch hier den hellen Himmel gesehen haben. Wir blieben dann neun Tage in Eichwege. Man hoffte immer noch, dass die russischen Truppen zum Stehen gebracht werden und die viel erwähnte Wunderwaffe eingesetzt wird.
In den folgenden Tagen gingen viele noch einmal zurück nach Groß-Särchen, um noch einige Sachen oder auch noch Verwandte nachzuholen. Einige Bauern gingen auch zurück, um ihr zurück gelassenes Vieh, welches schon vor Hunger brüllte, zu füttern. Inzwischen wurde die Neißebrücke auch zur Sprengung vorbereitet. Am 22.2. wurden die Sprengladungen scharfgemacht und es durfte niemand mehr die Brücke passieren. Wer noch aus dem Dorf heraus wollte, musste über das Neißewehr gehen. Abends um 21.30 Uhr wurde die Brücke gesprengt. |Rudolf Mrosk, der zu dieser Zeit noch in Pusack war, berichtete, dass um diese Zeit ihr Regulator (Pendeluhr) stehen geblieben ist. Liesbeth Strieg war zur Zeit der Brückensprengung noch im Ort und musste dann nachts über das Wehr gehen um nach Eichwege zu gelangen. Sie berichtete von der Brückensprengung.
Am nächsten Tag, dem 23.2. verließ dann der Treck Eichwege. Es ging über Bohsdorf, Spremberg bis nach Radeweise. Nach zwei Tagen Rast ging es weiter über Drebkau bis nach Casel. Nach einem Tag Rast zog der Treck dann weiter nach Gahlen. Hier wurde er geteilt. Während ein Teil in Gahlen blieb, zog der andere weiter nach Bolschwitz, darunter waren auch wir. Der größte Teil wurde im Saal der Gaststätte einquartiert. Wir bekamen bei der Familie Rentsch Unterkunft, wo wir 4 Personen mit den 3 Kindern eine Stube hatten. Dort verblieben wir bis zu unserer Rückkehr.
Mit meiner Mutter fuhren wir eines Tages mit Fahrrädern von Schönheide aus nach Pusack, um noch einige vergrabene Sachen zu holen. Oben im Wald im Jagen 84(Waldabschnitt 84) stoppten uns die Soldaten und brachten uns zum Bataillonskommandeur. Er willigte ein, das wir nachts mit Begleitung von 2 Soldaten der Kompanie, die hinter der Brücke in Stellung lagen, zu unserem Haus gehen konnten, um einige Sachen auszugraben. Wir mussten dann warten bis es finster wurde. In der Wartezeit sprach ich mit einigen Soldaten. Sie erzählten, dass sie ihre Uniformen vergraben und diese gegen Zivilklamotten eintauschen, denn sie hatten Kenntnisse von den russischen Truppenansammlungen in Groß-Särchen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis diese die Neiße durchbrechen würden. Sie sagten auch, dass öfters laute Musik zu hören war oder es ertönten Lautsprecheransagen, dass sich die deutschen Soldaten ergeben sollten. Die Sprecher waren ehemalige deutsche Soldaten, die der Antifa-Bewegung beigetreten sind. Am späten Abend gingen wir dann los. Wir liefen den Dubrauker Weg entlang und dann den Sandberg hinab. Kurz vor unserem Grundstück ging es dann gebückt in einem Schützengraben weiter, bis in unseren Garten.
Bei hell erleuchtetem Himmel, durch russische Leuchtkugeln, sahen wir dann das erste Mal unsere ausgebrannten Gebäude. Der Schuppen, in dem wir unsere Sachen vergraben hatten, war ebenfalls abgebrannt. Laufend schossen die Russen Leuchtkugeln hoch und wir mussten immer in Deckung gehen, denn wir waren ja in vorderster deutscher Frontlinie. Wir räumten den abgebrannten Schutt leise beiseite, damit wir an unser letztes Hab und Gut kamen. Es ist nochmal alles gut gegangen, so dass wir unsere Habseligkeiten noch retten konnten und so kamen wir unversehrt dann wieder beim Standort der Kompanie an, wo wir den Rest der Nacht in einem Unterstand verbrachten. Am Morgen bepackten wir unsere Fahrräder und fuhren über Schönheide nach Bollschwitz zurück.
Am 15.4. mussten die Großeltern und Mroskes Schönheide verlassen. Sie fuhren mit ihren Kuhgespannen über Bloischdorf, Sellessen und Groß Bucko nach Pulsberg. Da sie dort 3 Tage Rast machten, konnte ich sie noch einmal besuchen. Auf dem Rückweg von Pulsberg nach Bollschwitz wurde ich auf der Straße bei Drebkau von russischen Tieffliegern überrascht. Schnell musste ich neben der Straße in einer Ackerfurche in Deckung gehen. Aber ich kam dann unversehrt in Bollschwitz an. In den Nachrichten hatten wir ja gehört, dass die russischen Truppen am 16.4. die Neiße überquert haben. Aus Angst, dass man uns das bisschen Hab und Gut was wir noch hatten, wegnimmt, haben wir im Schuppen unserer Wirtsleute noch etwas vergraben. Gespannt warteten wir, was nun kommen wird. Am Abend des 18.4. sah man von Gahlen aus die erste Panzerspitze auf der Straße von Drebkau in Richtung Calau rollen. Am nächsten Tag war der erste Panzer in Bollschwitz und tags darauf kam der Tross mit den Panjewagen an. Nachts kamen dann die ersten russischen Soldaten und sagten nur „Uhri-Uhri“. Meine Mutter gab ihnen unseren Wecker, den einer aber voller Wut auf die Erde warf, wodurch ich ihn noch an den Kopf bekam. Warum wurde der Russe so böse? Die Erklärung war, er wollte keinen Wecker, er wollte wertvolle Armbanduhren, die wir nicht hatten. Aber der Wecker hatte das heil überstanden. Diesen Wecker gibt es heute noch, den meine Tochter in Ehren hält.
In den folgenden Tagen wurden hauptsächlich die Frauen im Saal der Gastwirtschaft belästigt oder vergewaltigt. Es war für alle unfassbar.
In Vorbereitung der russischen Offensive (Berliner Operation) war geplant, in Frontnähe |Flugplätze zu bauen. So wurde im Raum Missen-Ogrosen-Laasow ein Feldflugplatz gebaut. Zum Bau wurden deutsche Frauen und Jugendliche herangezogen. Meine Tante, Schwester und auch ich, mussten dort arbeiten. Wir wurden jeden Morgen mit vielen anderen von zwei Wachposten abgeholt und abends wieder nach Hause begleitet. Unterstände bauen und Schutzgräben ausheben waren unsere Aufgaben. Die Wachposten sind sehr freundlich gewesen. Eines Tages brachten sie ein Kalb auf den Platz, schlachteten es und verteilten das Fleisch unter uns, was in dieser Zeit einem Festmahl glich. Der Flugplatz wurde letztendlich nicht benötigt, denn man hatte festgestellt, dass man auf der Autobahn besser landen und starten kann.
Da sich die Lage beruhigt hatte, dachte man daran, wieder die Rückkehr anzutreten. Am 2. Mai machten wir uns dann auf den Heimweg. In Cottbus übernachteten wir in einer großen Halle. Am anderen Morgen setzten wir unseren Marsch auf der Straße über Gablenz fort. An den Straßenrändern lagen sehr viele zerschossene Fahrzeuge und tote Soldaten. Es war ein trauriges Bild- ein Bild des Grauens, was man nie vergessen kann! Von Eichwege aus nahmen wir den Dubrauker Weg quer durch den Wald, wo große Stellen abgebrannt waren. Oben auf dem Pusacker Sandberg bekamen wir ein beruhigendes Gefühl endlich wieder in der Heimat angekommen zu sein. Dann ging es den Sandberg hinab. Im Hohlweg war ein kleiner Unterstand mit vielen entschärften Tellerminen. Wenige Meter den Weg weiter hinab sahen wir dann unser abgebranntes Gehöft. Nun hatten wir nichts mehr, aber wir waren zu Hause…
Walter Schlammer Pusack